Woraus besteht ein Regentropfen?
Heute sind Mika und ich im Park um die Wette gelaufen. Die Luft roch frisch, aber plötzlich verdunkelte sich der Himmel und verwandelte sich in ein zorniges Dunkelgrau. In diesem Moment landete ein riesiger, kalter Wassertropfen auf meiner Stirn, und wir wussten, dass es zu regnen begonnen hatte.
Ich griff schnell in meine Tasche und öffnete meinen riesigen, bunten Regenschirm. Er ist mein Lieblings-Regenschirm, denn darauf ist Mikas fröhliches, lustiges Gesicht aufgedruckt! Wir hatten gerade unseren Unterschlupf aufgebaut, als Beril auf uns zugerannt kam und lachend unter unseren Regenschirm tauchte. „Macht Platz für mich, ich bin in den Sturm geraten!“, sagte sie.
Wir kauerten unter dem Regenschirm, lauschten dem Rhythmus des Regens und ich stellte Beril die Frage, die mir nicht aus dem Kopf ging: „Beril, wie kann so viel Wasser so hoch am Himmel schweben? Und warum fällt es dann plötzlich so schnell herunter? Es ist doch nur Wasser, oder?“ Beril zeigte auf einen Tropfen, der auf den Stoff unseres riesigen Regenschirms fiel. „Du hast Recht, was das Wasser angeht, Mia. Aber jeder Tropfen hat eine besondere Entstehungsgeschichte. Der Himmel ist voll von unsichtbarem Wasserdampf, genau wie der Dampf, der von kochendem Wasser in der Küche aufsteigt. Dieser Dampf braucht etwas, an das er sich anlagern kann, um sich in einen Wassertropfen zu verwandeln; er braucht einen Ausgangspunkt“, flüsterte Beril. „Es ist, als müsste man eine Einladung zu einer Party verschicken. In jedem Tropfen befindet sich eine winzige ‚erste Einladung‘, die den Dampf anzieht.“
„Eine Einladung?“, fragte ich. „Eine unsichtbare Einladung?“
„Genau!“ Beril lächelte. „Der Fachbegriff in der Wissenschaft lautet Kondensationskern. Das klingt sehr kompliziert, aber es handelt sich dabei einfach nur um zum Beispiel ein winziges Staubteilchen, einen kleinen Salzkristall aus dem Meer oder sogar um Pollen von Blumen. Das sind die klebrigen Zentren, an denen sich Wolken beginnen zu bilden.“
„Also befindet sich Schmutz in den Tropfen?“, fragte ich und verzog das Gesicht.
„Nein, es ist kein richtiger Schmutz.“, korrigierte Beril. „Der kalte Wasserdampf sammelt sich um diese winzigen Teilchen und bildet sehr kleine Wassertropfen – der Wasserdampf kondensiert an den Kondensationskernen. Millionen dieser Kondensationskerne und Wassertropfen verbinden sich zu der großen Wolke, die du siehst.“
„Aber wie fallen sie dann? Kann die Wolke sie nicht halten?“, fragte ich und schaute zu Mikas süßem Gesicht auf meinem Regenschirm hinauf.
„Das geht nicht, weil sie wachsen“, erklärte Beril, indem sie ihre Hände zusammenführte und wieder auseinander zog. „Die winzigen Tröpfchen in der Wolke stoßen miteinander zusammen und haften fest aneinander. Das ist genau so, als würde man kleine Schneeklumpen zu einem großen Schneeball zusammenfügen. Wenn sie groß und schwer genug geworden sind, fallen sie auf die Erde, genau wie jetzt!“, sagte Beril.
Endlich verstand ich es! Regen ist nicht einfach nur Wasser, sondern das Ergebnis winziger Tröpfchen, die sich aneinander klammern, bis sie zu schwer werden. Das ist das geniale Geheimnis des Regentropfens und wie die Wolke beschließt zu regnen.
Beril zwinkerte mir zu. „Wenn es das nächste Mal regnet, denk daran, dass der Tropfen das Ende einer langen, abenteuerlichen Reise für einen winzigen Kondensationskern am Himmel ist. Komm, lass uns eine heiße Schokolade trinken, bevor wir nass werden!“
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Text: Beril Aydin, Illustration: Patrizia Schoch, Übersetzung: Sophie Vliegen